Maria Ratschitz, Südafrika, Dezember 2005

Hallo alle zusammen,

 

hier nun mein zweiter Rundbrief aus dem sonnigen Afrika. Bei uns bricht gerade die heißeste Jahreszeit an und ich muss gerade einen schlimmen Sonnenbrand überstehen. Bin am ganzen Rücken voll von Blasen, ist nicht schön.
Mir geht es soweit wieder ganz gut, da ich einen kleinen Durchhänger hatte. Schoen langsam macht sich nämlich doch die Einsamkeit bemerkbar. All das hier wäre viel leichter wenn man jemanden zum reden hätte. Es ist einfach so das ich meinen Frust schlecht loswerden kann (Ausnahme natürlich mein geistlicher Begleiter Wolfgang, aber Telefon ist nun mal nicht das selbe) und sich doch vieles ansammelt. Die Schwestern sind auch nicht wirklich in der Lage mir zu helfen, oder ich mit ihnen zu reden, da sie doch nach 40 Jahren Afrika abgehärtet sind und meine Probleme nicht wirklich verstehen würden und ein Altersunterschied von 35-50 Jahren macht es auch nicht leichter. Außerdem fehlt mir mehr ein guter Freund zum reden und nicht ein "Gesprächspartner". Nicht falsch verstehen, ich komme mit den Schwestern immer noch sehr gut aus.
Ich hoffe das ist einigermaßen verständlich rübergekommen, da es mir nicht ganz so leicht fällt das alles zu formulieren. Mein Kopf ist einfach zu voll.
Wer jetzt nur weitere schlimme, traurige oder grausame Geschichten in diesem Brief erwartet, den muss ich enttäuschen... ich denke nicht das das Sinn der Sache ist nur davon zu berichten, da ich auch sehr häufig gefragt wurde wie es mir geht.
Also:
Es geht mir wie gesagt gut und ich habe zu kämpfen aber es läuft. Es ist nicht so einfach sterbende Menschen zu begleiten, wie viele von euch wissen, die einen geliebten Menschen verloren haben. Natürlich verliere ich hier keine geliebten Menschen aber man muss immer daran denken das es Menschen sind wie du und ich, auch wenn sie sich nicht bewegen können, kein Wort sprechen oder einfach nur daliegen und unfreundlich sind. Es sind alles Gottes Geschöpfe. Ich will hier nicht theologisch werden, ich will nur erklären wie schwer es ist das manchmal zu sehen oder sich klar zu machen. Wer weiß, jeder von uns könnte einer dieser Menschen sein die dort in den Betten vor sich hinvegetieren und mit all diesen Problemen in diesem Land und der Kultur und Erziehung, ich weiß nicht wie ich leben würde wenn ich in diesem Land aufgewachsen wäre. Vielleicht hätte ich den Sprung geschafft, raus aus der Armut in ein "normales" Leben. Aber andererseits vielleicht wäre ich auch einer dieser Menschen die mit dreizehn HIV haben, da ich den Weg gehe den (fast) alle gehen. Was bleibt einen schon übrig wenn man nichts hat, und ich meine NICHTS? Nicht das ein Fernseher fehlt oder ein Auto, nein, nichts. Kein Haus, kein Essen, keine richtige Kleidung. Nichts!!! Manchmal sogar keine Eltern oder Verwandten.
Und diejenigen die etwas haben, werden von den anderen runter gezogen. So ist es zum Beispiel schwer für einen jungen Mann der versucht sich etwas aufzubauen daraus Profit zu schlagen, da, sobald er etwas Geld verdient, viele Menschen da sind die ihn runterziehen, da sie am Profit teilhaben wollen. Wie z.B. ein Vater, der plötzlich auftaucht, obwohl er sich 20 Jahre nicht blicken lassen hat und eine Mutter, die ihr Kind auf der Strasse ausgesetzt hat um nicht mehr für es sorgen zu müssen.
Um dies zu verdeutlichen ein kleiner Joke: Ein Schwarzer sitzt am Meer und fängt Hummer. Die Gefangenen steckt er in einen Eimer. Als ein Tourist vorbeikommt und sieht das ein paar Hummer am Rand des Eimers sind sagt er zu dem Fischer: “Du musst einen Deckel auf den Eimer machen, da dir sonst die Hummer davon laufen!“ Der Angler antwortet: “Du bist ein Tourist, oder?“ “Ja, warum?“ “Schau, das sind südafrikanische Hummer; sobald einer oben ist, sind dort mindestens drei die ihn wieder herunterziehen!“

Aber zurück zur Armut; ist es nicht verständlich das man wenigsten ein bisschen Spaß haben will? Und wenn man nichts hat, kann Sex manchmal die einzige Unterhaltung sein, die man hat. Das viele Leute hier nicht an die Folgen denken ist ein anderes Thema. Z.B.: Wir waren in einem Haus, vielleicht zwei auf vier Meter. In diesem Haus leben Zwei Eltern (Arbeitslos) und ihre drei Kinder (sechs und vier Jahre und ein zwei Wochen altes Baby), zwei Kinder sind vorher schon mal gestorben. Diese Menschen leben dort nicht nur, sie kochen dort, essen dort, schlafen dort und natuerlich haben die Eltern dort auch Sex. Was kann man von den Kindern also erwarten? Natürlich halten sie es für normal was die Eltern dort machen. Zumindest wurde der sechs jährige Sohn von der Schule verwiesen weil er Sex imitiert hat. Der vierjährige Sohn ist unterernährt und hat schon die ersten Anzeichen (Haarausfall und Wasserbauch). Das zwei Wochen alte Kind ist soweit ok. Aber es wird mit der Brust gefüttert, da kein Geld für Nahrung vorhanden ist was heißt auch es wird an HIV erkranken, falls es noch nicht ist und an AIDS sterben... So what can you do?
Die Schwester versucht Geld zu organisieren um eine zweite Hütte zu bauen, was aber das Problem nicht wirklich löst.

Anderes Beispiel: Eine Mutter hat mit einer der Schwestern geredet, das sie kleine Kondome braucht. Als die Schwester gefragt hat wofür, hat die Frau gesagt sie hat zwei Kinder. Ein acht Monate altes female Baby und einen fünf Jahre alten Sohn und sie kann die Kinder nicht alleine lassen, weil der Sohn dann versucht seine Schwester zu vergewaltigen. Ich hoffe das Problem ist klar: Das Problem der Mutter ist nicht das der Sohn versucht seine Schwester zu vergewaltigen, sondern die Angst er könnte seine Schwester irgendwie anstecken....

Ich will mit diesen zwei Geschichten klar machen, das es manchmal nicht das Schlimme ist was man sieht, sondern wenn man den Hintergrund erfährt. Es gibt manche die gesagt haben ich hätte mein "soziales Jahr" in Deutschland machen können, aber es ist eben nicht das selbe, da man nicht jeden Tag damit konfrontiert ist und wir in einem guten, aufgeklärtem Sozialstaat leben, wo die Probleme andere sind und einfacher. In Deutschland kann man den Menschen sagen wie sie zu leben haben, bzw. wie sie sollten, aber versucht das mal einem stolzen Zulu Mann zu erklären...
Auf die häufig gestellte Frage wie ich mit all dem Umgehe: Ich muss! Hab ich eine Wahl? Ich habe mir gesagt ich muss etwas ändern, weil es sonst keiner tut, ich muss es versuchen. Und so lange ich Abends ruhig schlafen kann, ist alles noch in Ordnung. Es ist schwer das jetzt zu schreiben wie ich damit umgehe und wie ich mich fühle, weil ich es selber nicht genau weiß und mich nicht wirklich ausdrücken kann.
Dass man natürlich mit der Zeit feststellt, dass die Arbeit völlig sinnlos erscheint, die hier betrieben wird, da der Mensch sich nicht ändert und ich anfange nicht mehr an das Gute im Menschen zu glauben, macht es nicht einfacher. "Homo Hominin Lupus Est" (Bei Verständnisproblemen meine kleine Schwester um Übersetzung bitten J). Dieser Satz trifft es einfach auf den Punkt.

So what can you do…?

Wie man sieht kann ich hier auch wieder Seiten über Seiten schreiben, aber das soll mal reichen und irgendwie würde es sonst auch kein Ende nehmen.
Man kann mir übrigens mittlerweile e-Mails schreiben.
Und da ich viele neue Adressen im Verteiler habe hier noch mal meine südafrikanische Adresse:

     Bernhard Spies
Maria Ratschitz Mission
P.O. Box 194
Wasbank 2920
Republic of South Africa


LG
Bernhard

P.S.: Noch eine kleine Geschichte für die Adventszeit:
Eine Frau hat sich ein Stück Kuhleber in die Vagina gesteckt, damit das Virus erst die Leber frisst und dann sie, eigentlich ja ein schöner Glaube und endlich mal einer der keinem schadet...