Maria Ratschitz, Südafrika, April 2006

Hallo alle zusammen,

 

es tut mir leid wenn dieser Rundbrief etwas (sehr) spät kommt, aber es war mir nicht möglich in den letzten sechs Wochen ans/ins Internet zu gelangen. Seitdem hat sich auch viel geändert, z.B. das ich schon diesen Dienstag wieder in Deutschland sein werde… Was heißt, dass ich am 02.05.06 um 12.30 Uhr wieder deutschen Boden unter den Füßen haben werde.
Aber dennoch werde ich meinen letzten Rundbrief, den ich nun über einen Monat mit mir herumgetragen habe, noch sende…

Vor ein paar Tagen hatte ich die Möglichkeit mal eine andere Missionsstation, Mariannhill, zu besuchen. Dies hat mir persönlich sehr viel gebracht. Ich habe das dortige Weisenhaus St. Vincent besucht wo AIDS Waisen, vergewaltigte und missbrauchte Kinder sind. Ich war in einigen „drop in centern“. Diese sind so ähnlich aufgebaut wie die Soup kitchen, nur das dort Kinder im Kindergartenalter hingehen. Anders als bei einer Soup kitchen werden die Kinder hier den ganzen Tag betreut (spielen, singen,…). Dann habe ich eine lange Krankenhaus Führung bekommen, die mir das letzte Missionskrankenhaus Südafrikas (dieses wird noch komplett von Schwestern geführt, alle anderen sind staatlich) näher gebracht hat. Da dies eine sehr anstrengende Woche war, was heißt von morgens fünf bis abends neun, werde ich nicht alles beschreiben und mich auf das Waisenhaus beschränken…

Dass etwas in diesem Land schief läuft hatte ich spätestens an Weihnachten festgestellt, als Makosi gestorben war. Nachdem ich ihr drei Stunden die Hand gehalten hatte. Dieser Eindruck hat sich mit der Zeit immer mehr verstärkt, vor allem immer dann wenn es um Kinder ging. Als ich dann im Kinderheim war noch mal sehr extrem. Es war eine der schönsten, lehrreichsten, informativsten und sicher auch eine der traurigsten Wochen. Hier wurde ich noch mal eiskalt mit der Realität konfrontiert und habe wieder viele, fast unglaubliche Schicksale gehört. Und fast immer geht es um Vergewaltigung, Misshandlung oder Tod der Eltern durch AIDS. Das Schlimme ist, dass ich hier nicht von kleinen Zahlen wie 100 oder 200 Kindern rede. In diesem Land geht es um Tausende…

HIV/AIDS tötet die produktive Generation, das heißt die Menschen, die arbeiten, Geld verdienen und eine Familie ernähren sollten. Was übrig bleibt sind Kinder und alte Menschen, die wenn sie Glück haben noch eine staatliche Pension bekommen. Und wenn nicht?! Einige wenige haben das Glück in einem Waisenhaus unterzukommen. Andere haben etwas weniger Glück aber haben noch einen Platz in einem „drop in center“ oder in einer Soup kitchen, wo sie wenigstens eine warme Mahlzeit pro Tag bekommen. Aber was ist mit dem Rest? Es ist schlimm, aber die Frage scheint sich zu erübrigen. Erinnert euch zurück an die „child-headed families“ (ca.11%). Lebenserwartung ist dort keine große, wenn man nicht gerade eine Gogo (Großmutter) in der Nachbarschaft hat die sich der Kinder, wenigstens mit etwas zu Essen, annimmt. Aber was für eine Chance haben die Kinder wenn sie groß sind? Ohne Schulbildung bekommen sie keinen Job und einfach in die Schule gehen geht nicht, da hier Schulgeld bezahlt werden muss und Uniformpflicht ist und diese kostet auch Geld. Hier sind viele Kinder auf Spenden und soziales Engagement angewiesen. Wie ein Großindustrieller aus Durban beweißt, der dieses Jahr 50 Waisen mit Essen, Uniformen und Schulgeld unterstützt. Ein Tropfen auf den heißen Stein; aber steter Tropfen höhlt den Stein…

Zurück zum Waisenhaus.
Als ich das erste Mal St. Vincent besucht habe, war ich natürlich sehr positiv überrascht, wie die kleinen Kinder auf mich reagiert haben. Sie sind auf mich zugelaufen und wollten alle gleich auf meinen Arm. Die meisten haben gelacht und sich sehr gefreut, vor allem als ich die Kamera ausgepackt habe. Natürlich waren auch einige dabei denen man nicht zu nahe kommen durfte, wie ein kleines Mädchen, das immer zu heulen angefangen hat, wenn ich einen Schritt in ihre Richtung gemacht habe. Dieses Kind lässt, bis auf eine alte Gogo, niemanden an sich ran und hat Angst vor jedem. Die Vergangenheit dieses Kindes kenne ich leider nicht, mir konnte auch keiner Auskunft geben, da das Kind ausgesetzt und später gefunden wurde.

Natürlich gibt es auch Schicksale die positiv ausgehen und sich die Geschichte doch etwas zum Guten wendet, wie bei Phumlani und Dudu.

Phumlani wurde im März 1998 ins Heim gegeben. Seine Mutter ist im Jahr davor an AIDS gestorben. Seine Stiefmutter und der Vater haben das Kind abgelehnt und der Vater hat den Jungen nur geprügelt. Als Phumlani seine Schultasche verlor, hat der Vater in zur Sprechunfähigkeit geprügelt. Seit dem er im Heim ist, erholt er sich gut und ist ein aktiver, glücklicher Junge geworden. Im Religionsunterricht in der Schule hat der Junge zu vergeben gelernt. Bevor sein Vater starb, besuchte Phumlani in noch im Hospiz. Als er seinen Vater gesagt hat dass er ihm vergeben hat, konnte der Vater die Tränen nicht zurückhalten.
Der Vater starb in der selben Nacht.

Dudu kam mit zwei Jahren ins Heim. Sie wurde von ihrem Vater ausgesetzt als sie ein Jahr alt war. Als sie gefunden wurde befand sie sich in einem sehr schlechten Zustand. Sie konnte weder stehen, noch gehen, noch krabbeln. Lachen war ihr völlig fremd und ihre Knochen waren schwach und zerbrechlich. Eine Krankenschwester hat sie gezielt ernährt und mit Gymnastik angefangen. Erst mit 4 Jahren hat sie positiv auf die Behandlung reagiert. Inzwischen ist sie in der achten Klasse und ist eine sehr gute, fröhliche Schülerin. Ihre Mutter (32 Jahre, sie hat das Kind bekommen als sie 14 Jahre alt war!) wurde dieses Jahr gefunden. Sie ist inzwischen Reif geworden und fühlt sich sehr schuldig, an der bedauernswerten Kindheit ihrer Tochter. Ein sozial-worker hilft den beiden nun sich kennen zu lernen und näher zu kommen.
Dudu kann wahrscheinlich bald in die Obhut der Mutter gegeben werden…

Und dann war da noch ein kleines Mädchen, die irgendwie anders, besonders, war. Sie hat sich ruhig, nicht so stürmisch wie die anderen, zu mir gesellt und sofort den Arm um mich gelegt als ich mich zu ihr runter gebückt habe. Die dortige Schwester sagte das sei sehr sonderbar, normalerweise habe dieses Kind Angst vor fremden Menschen. Umso bemerkenswerter war es dann als sie am folgenden Tag alle Kinder von mir weggetrieben hat und mich für sich alleine haben wollte. Beim letzten Besuch, hat sie mich schon von weitem gesehen und ist mit weit ausgestreckten Armen auf mich zugelaufen und hat mich dann angesprungen. Ich bin dann ca. eine Stunde mit ihr auf dem Arm durch das Heim gelaufen und sie hat mir alles gezeigt und erklärt (Ich hab kein Wort verstanden…) Als ich mich am Ende von ihr verabschieden musste und „Sale kahle!“ („Stay well!“) gesagt habe, hat sie sich fest um meinen Hals geklammert und zum weinen angefangen. Nachdem ich sie abgesetzt hatte und sie noch mal angelächelt habe, hat sie sich fest an meine Oberschenkel geklammert und nicht mehr aufgehört zu weinen und zu schreien. Herzzerreißend. Eine Schwester hat dann das Kind genommen und weggetragen. Dann war ich fertig, dies war einer der schwersten Momente während meiner Zeit in Afrika. Später habe ich dann die Geschichte von SpheSihle erfahren. Sie ist mit zwei Jahren am Krankenhaus ausgesetzt worden. Bei der Untersuchung hat man festgestellt, dass sie verprügelt und vergewaltigt worden ist und es ein Wunder ist das dieses Kind überlebt hat. Umso bemerkenswerter ist es wie gesagt, dass sie zum ersten Mal keine Angst vor einem Fremden hat und sogar Zuneigung zeigt.

Der erste Gedanke ist natürlich gewesen, dass man ein zweites Flugticket kauf und die Kleine einfach mitnimmt (Leider sind Auslandsadoptionen verboten, da man den Kinderhandel unterbinden will).

In zwei Wochen besuche ich die Kinder noch mal mit meinen Eltern und ein paar Spielzeug Spenden. Ich hoffe ich schaffe es mich diesmal lachend zu verabschieden…

Liebe Grüße und „Sale kahle!“

Bernhard

P.S: Mir wurde gesagt dass meine Briefe immer trauriger werden, aber was soll ich machen, die Lage wird nicht lustiger...
Vielleicht verbreitet dieser Brief mal ein bisschen Hoffnung.